„Grit Lemke liest in Spremberg aus ihrem Buch ‚Kinder von Hoy‘“, mehr Werbung brauchte es eigentlich gar nicht. Der Raum im MC Spremberg war voll. 60 Menschen wollten unbedingt in Grit Lemkes Geschichte mitgenommen werden. Oft genug war es auch die eigene Geschichte, die einem aus dem Mund der Autorin entgegenkam. Das machte den besonderen Reiz der Veranstaltung aus, die mit Bedacht auf dem Gelände des ehemaligen Kraftwerk Trattendorf stattfand.
Doch zunächst mussten wir uns gedulden. Der Zug aus Berlin fiel aus und so musste Grit Lemke kurzerhand von ihrem Sohn mit dem Auto gebracht werden. Die 1,5 Stunden Wartezeit ließ uns die Moderatorin und Mitorganisatorin Inka Thuneke von der Pronesis Diskurswerkstatt wie im Flug vergehen. Sie las uns kurzerhand das Buch von Grit Lemke Kapitel für Kapitel vor. So kamen uns die Kinder von Hoy schon mal nahe:
In den sechziger und siebziger Jahren waren sie mit ihren Eltern nach Hoyerswerda gekommen, eine DDR-Musterstadt: aus dem Heideboden gestampft, aus Bauelementen zusammenmontiert. Morgens rollen die Eltern in Schichtbussen davon, die Kinder wachsen in einem großen Kollektiv auf. Die Erzählerin wird dabei Teil der Kultur- und Kunstszene um Gerhard Gundermann, den Springsteen des Ostens. Eine Art proletarische Bohème entwickelt sich: nachts im Kellerclub, morgens im Schichtbus. Doch der Wiedervereinigung folgen Massenentlassungen, und ein latent vorhandener Rassismus gegen in der Stadt lebende Vertragsarbeiter sowie eine schnell erstarkende Rechte führen zu Ausschreitungen. Die Kulturszene bleibt tatenlos, doch auch für sie wird danach nichts mehr sein, wie es war.
Über die Spannungen und weiter offenen Baustellen dieser (eigenen) Geschichte entwickelte sich dann ein intensives und spannendes Gespräch mit der Autorin. So verkörperte dieser Abend Literatur im Besten Sinn: als Mittel sich selbst und die Welt um uns besser und tiefer zu verstehen und danach sogar mit richtigem Schwung aus dem Abend hinaus zu gehen.
Dieser Abend hat Lust gemacht auf weitere Lesungen, in denen wir uns selbst verstehen können.